2022.08.04

AUFSTOCKUNG DER STAMMEINLAGEN: WENN DIE GRÜNDUNGSPRIVILEGIERTE GMBH ERWACHSEN WIRD

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Zu Beginn dieses Jahrtausends löste der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit mehreren Grundsatzentscheidungen zur Niederlassungsfreiheit, beginnend mit Centros1, einen regelrechten Boom der englischen Limited in Kontinental- bzw. Mitteleuropa aus. Während die deutschen und österreichischen Kapitalaufbringungs- und erhaltungsvorschriften traditionell zu den strengsten im internationalen Vergleich zählen, kann die englische Limited bereits mit einem Nennkapital von nur 1 GBP oder gar 1 Penny gegründet werden. Gerade für deutsche und österreichische Gründer war sie daher eine Zeitlang eine attraktive Alternative zur GmbH. So stellte die Umgehung von Mindestkapitalerfordernissen nach Ansicht des EuGH keinen Missbrauch dar, sondern die Ausnutzung der europarechtlichen Möglichkeiten.2

Dem schob der Oberste Gerichtshof (OGH) in einer aktuellen Entscheidung3 nunmehr einen Riegel vor; allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Boom der englischen Limited schon seit vielen Jahren abgeklungen war. Infolge des Brexits können sich englische Limiteds mit Verwaltungssitz in Österreich nicht länger auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Folglich sind sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesbR)4 zu qualifizieren, was unter anderem zur persönlichen Haftung der Gesellschafter führt, und verlieren damit auch ihre Rechtsfähigkeit.

Was von der englischen Limited bleibt, sind die Reformen, die insbesondere in Deutschland und Österreich aufgrund deren einstiger Konkurrenz zur GmbH umgesetzt wurden.

1. Reform in Deutschland: Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)

Der deutsche Gesetzgeber reagierte auf die steigende Zahl an Limiteds in Deutschland mit der Einführung der sogenannten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) im Jahr 2008. Dabei handelt es sich um keine eigenständige Gesellschaftsform, sondern um eine Variante der GmbH, die zahlreiche Gründungserleichterungen vorsieht. 5 Das Stammkapital der UG darf frei bestimmt werden, ist de facto aber mit mindestens EUR 1 festzusetzen.6 Erreicht das Stammkapital der UG infolge einer Kapitalerhöhung oder der gesetzlich zu bildenden Rücklagen den Betrag von EUR 25.000, wird sie fortan wie eine gewöhnliche GmbH behandelt.

2. Reformen in Österreich: erst „GmbH light“, dann Gründungsprivilegierung

In Österreich wurde das Mindeststammkapital der GmbH mit Wirkung ab 01.07.2013 von EUR 35.000 auf EUR 10.000 gesenkt („GmbH light“). Nach nur achtmonatigen Bestehen wurde die „GmbH light“ aus steuerrechtlichen Erwägungen7 allerdings wieder abgeschafft und – nach dem Vorbild der deutschen UG – durch die gründungsprivilegierte GmbH ersetzt.

3. Die gründungsprivilegierte GmbH: Stammkapital, Stammeinlage und gründungsprivilegierte Stammeinlage

Ebenso wie die UG ist die gründungsprivilegierte GmbH keine Rechtsform sui generis, sondern eine gewöhnliche GmbH mit einem Mindeststammkapital von EUR 35.000. Bei Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung richtet sich die Einzahlungspflicht nach der Summe der sogenannten gründungsprivilegierten Stammeinlagen, die zumindest EUR 10.000 betragen muss. Davon sind mindestens EUR 5.000 in bar zu leisten.8 Wurde bei der Gründung beispielsweise der Mindestbetrag von EUR 5.000 auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen einbezahlt, bedarf es der Einzahlung weiterer EUR 12.500, um die Gründungsprivilegierung zu beenden.

4. Befristung der Gründungsprivilegierung

Die Gründungsprivilegierung endet spätestens nach zehn Jahren, sofern die Gesellschaft nicht bereits während dieses Zeitraums die Voraussetzungen für die Gründung einer regulären GmbH erfüllt. Auch die Einzahlungspflichten der Gesellschafter bis zur Höhe von EUR 17.500 leben dann wieder auf. Dies hat zur Folge, dass die Gesellschafter der ersten GmbHs, die ab März 2014 die Gründungsprivilegierung in Anspruch nahmen, in rund zwei Jahren ihre Einzahlungen auf den Mindestbetrag von EUR 17.500 aufstocken müssen, soweit dies nicht ohnehin schon geschehen ist. Für den Fall, dass eine Aufstockung der Stammeinlagen unterbleibt, ordnet das Gesetz zwar keine explizite Sanktion an; die Geschäftsführer sind aber zur Einforderung der fälligen Stammeinlagen angehalten und haften gegenüber der Gesellschaft für Schäden, die aus einer nachlässigen Betreibung entstehen. Spätestens in der Insolvenz müssen die Gesellschafter die auf das Mindeststammkapital von EUR 35.000 ausstehenden Stammeinlagen leisten.9

5. Was ist bei der Aufstockung der Stammeinlagen zu beachten?

Neben der Einzahlung der offenen Stammeinlagen hat die Generalversammlung einen Beschluss über die Änderung des Gesellschaftsvertrages zu fassen. Demnach hat der im Gesellschaftsvertrag enthaltene Passus, mit dem die Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung gemäß § 10b GmbHG vorgesehen wird, zu entfallen. Bei Beendigung der Gründungsprivilegierung verlangt die Rechtsprechung ferner eine Erklärung und den Nachweis über die erfolgte Einzahlung der bar zu leistenden Stammeinlagen. So wäre es nach Auffassung des OGH unsachlich, eine GmbH, die die Gründungsprivilegierung beendet, gegenüber einer GmbH, die von Anfang an nicht die Gründungsprivilegierung in Anspruch nahm, besser zu stellen.10 Somit haben bei Anmeldung der Beendigung der Gründungsprivilegierung zum Firmenbuch sämtliche Geschäftsführer die Erklärung abzugeben, dass die bar zu leistenden Stammeinlagen in dem eingeforderten Betrag eingezahlt worden sind und zu deren freier Verfügung stehen. Der Nachweis der Einzahlung der Einlagen hat durch Vorlage einer entsprechenden Bankbestätigung zu erfolgen.11

6. Für wen besteht konkreter Handlungsbedarf?

Die Gesellschafter einer gründungsprivilegierten GmbH sollten zeitnah vor Ablauf der Zehnjahresfrist eine Aufstockung der Stammeinlagen und mithin die Beendigung der Gründungsprivilegierung veranlassen. Wie zuvor erwähnt sieht das Gesetz für den Fall, dass eine Aufstockung unterbleibt, zwar keine ausdrückliche Sanktion vor; Rechtsfolge des Privilegierungsendes ist aber die Deckungspflicht der Gesellschafter in voller Höhe ihrer Stammeinlage samt Ausfallshaftung gemäß § 70 GmbHG. Die Stammeinlageforderungen der Gesellschafter entstehen also in voller Höhe. Fällig werden sie vorbehaltlich abweichender Satzungsänderungen durch Einforderung.12 Die gründungsprivilegierten Stammeinlagen verlieren jeden Einfluss auf Rechtsfolgen, die an die Höhe der Stammeinlagen anknüpfen.13 Abgesehen davon können auch andere Gründe für eine vorzeitige Beendigung der Gründungsprivilegierung sprechen. Zwar ergibt sich die Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung nicht unmittelbar aus der Firma14, sondern nur durch Einsichtnahme in das Firmenbuch bzw. den Gesellschaftsvertrag. Gleichwohl kann mit einem Upgrade zur „erwachsenen“ GmbH aber einhergehen, dass der Gesellschaft im Geschäftsverkehr eine höhere Seriosität unterstellt wird, was insbesondere für Gründer von Start-ups, die sich zwischenzeitig zu florierenden Unternehmen entwickelt haben, einen Anreiz zur Aufstockung ihrer Stammeinlagen darstellen kann. Nachdem die Gründungsprivilegierung ohnehin nur zeitlich befristet in Anspruch genommen werden kann, spricht oftmals nichts dagegen, diese schon dann zu beenden, wenn die Gesellschaft auf einem finanziell soliden Fundament steht bzw. die Gesellschafter über die notwendigen Mittel zur Aufstockung ihrer Stammeinlagen verfügen.


Sabadello Legal berät und vertritt Unternehmen laufend in den Bereichen des Gesellschafts- und Unternehmensrechts. Unser Beratungsspektrum erstreckt sich von der Gründung, der Begleitung von Transaktionen und der Führung streitiger Auseinandersetzungen bis hin zur Liquidation von Gesellschaften. Zu unseren Mandanten zählen Start-ups, mittelständige Unternehmen sowie börsennotierte Konzerne aus einer Vielzahl unterschiedlicher Branchen.

Kontakt und Fragen:
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  1. EuGH 09.03.1999, C-212/97, Centros; vgl. unter anderem auch EuGH 05.11.2022, C-208/00, Überseering; EuGH 30.09.2003, C-167/01, Inspire Art; EuGH 13.12.2005, C-411/03, SEVIC Systems; EuGH 28.02.2008, C-293/06, Deutsche Shell; EuGH 16.12.2008, C-210/06, Cartesio; EuGH 12.07.2021, C-378/10, VALE.

  2. Bergmann, ZEuS 2021, 233.

  3. OGH 27.01.2022, 9 Ob 74/21d.

  4. Limiteds mit nur einem Gesellschafter werden wie Einzelunternehmen behandelt.

  5. Vgl. § 5a dGmbHG.

  6. Im Falle einer Ein-Personen-UG, sonst entsprechend höher; vgl. dazu § 5 Abs 2 Satz 1 dGmbHG, wonach der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils auf volle Euro zu lauten hat.

  7. Die Herabsetzung des Mindeststammkapitals führte zu einer Reduktion der Mindestkörperschaftsteuer von EUR 1.750 auf EUR 500 per anno. Dies war dem Gesetzgeber bei Einführung der „GmbH light“ zwar bekannt war; aufgrund eines „Budgetlochs“ (siehe dazu Bachner, GES 2014, 491) wurde die Herabsetzung des Mindeststammkapitals letztlich aber wieder rückgängig gemacht.

  8. Vgl. § 10b GmbHG.

  9. Schopper/Walch, NZ 2014, 186.

  10. OGH 24.09.2019, 6 Ob 112/19t.

  11. Vgl. dazu auch § 10 Abs 3 GmbHG.

  12. §§ 35 Abs 1 Z 2, 63 Abs 1 GmbHG.

  13. U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 10b Rz 19.

  14. Der Ministerialentwurf (3/ME, 25. GP) sah noch vor, dass die Firma der GmbH den Zusatz „gründungsprivilegiert“ zu enthalten hat. Davon wurde aber bereits in der Regierungsvorlage (RV 24, 25. GP) wieder abgerückt und schlussendlich auch auf einen verpflichtenden Hinweis auf die Gründungsprivilegierung in den Geschäftspapieren verzichtet.

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