2020.10.01
Im Zivilprozess richtet sich der Prozesskostenersatz danach, welche Partei am Ende obsiegt: 100% Durchsetzung der Forderung führt zu vollem Kostenersatzanspruch. Bei nur teilweise gewonnenen Verfahren kommt es grundsätzlich zur Minderung dieses Anspruchs. Eine wichtige Ausnahme dieses Grundsatzes tritt ein, wenn ein Kläger seine Forderung erst im Prozess durch einen Sachverständigen beziffern kann: selbst wenn sich herausstellt, dass der ursprünglich eingeklagte Betrag zu hoch war, kann das Gericht vollen Kostenersatz zusprechen (§ 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO). Gerade im Bauprozess ist das Kostenrisiko mitunter signifikant: die Verfahrenskosten können rasch die Höhe der strittigen Forderung erreichen oder sogar überschreiten.
In einem langjährigen Verfahren vor dem Handelsgericht Wien wurde der beklagte Bauherr vom Erstgericht zum vollständigen Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet, obwohl dem klagenden Bauunternehmen nur 55 % der eingeklagten Forderung zugesprochen wurden. Diese vollständige Ersatzpflicht begründete das Erstgericht damit, dass der klagegegenständliche Anspruch von der Ausmittlung durch den Sachverständigen abhängig gewesen sei ("Kostenprivileg" nach § 43 Abs 2 2. Fall ZPO).
Der Bauherr akzeptierte, dass dem Bauunternehmen ein Teil der eingeklagten Schlussrechnung zugesprochen wurde. Dagegen, dass nach vier Jahren Sachverständigenprozess aber ein noch höherer Betrag an Prozesskosten zu bezahlen wäre, setzte sich der durch uns vertretene Bauherr erfolgreich zur Wehr:
Das Oberlandesgericht Wien folgte unserem Kostenrekurs: Das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 2. Fall ZPO ist nur anwendbar, wenn die ziffernmäßige Höhe des Anspruchs festgestellt werden muss. Das "Ausmitteln" des § 43 Abs 2 2. Fall ZPO darf aber nie den Anspruchsgrund betreffen. Im Verfahren war dem Kläger aber zum Teil nicht einmal der Nachweis gelungen, dass einzelne Leistungen überhaupt erbracht worden waren. Das Erstgericht hätte daher die Kostenentscheidung richtigerweise auf Basis der Grundsätze des § 43 Abs 1 ZPO treffen müssen.
Im Ergebnis hatte die Beklagte der Klägerin somit statt 100 % nur eine Quote von 10 % der Verfahrenskosten zu ersetzen und die Klägerin muss auch die Kosten des Rekursverfahrens tragen.
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