2022.12.11
Wer ein Gebäude besitzt oder Halter eines Weges ist, der haftet dafür, dass durch deren Zustand niemand verletzt wird. Das sehen - stark verkürzt - § 1319 ABGB und § 1319a ABGB so vor. Wie soll es aber um die Haftung stehen, wenn eine Mieterin die drohende Gefahr geradezu erahnt und prompt in einen Schacht stürzt?
Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann. Der Oberste Gerichtshof („OGH“) hatte jüngst entschieden, dass es sich trotz Erkennbarkeit eines verrutschten Lichtschachtgitters nicht um eine Gefahrenquelle handelt, die einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fallen würde.1
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in einer Wohnhausanlage. Nach dem Hauseingang rechts des Mietobjekts befinden sich an der Hauswand drei mit Lichtschachtgittern abgedeckte Lichtschächte.
Die Klägerin ging mit ihrem 2-jährigen Enkel an der Hand auf dem Gehsteig in Richtung Spielplatz. Das Kind riss sich von ihrer Hand los und lief in Richtung der Lichtschächte. Die Klägerin lief ihrem Enkel hinterher, stieg dabei auf ein leicht verbogenes, schräg auf der Einfassung liegendes Lichtschachtgitter, rutschte in den Schacht und verletzte sich.
Wenn – was etwa einmal jährlich vorkam – ein Lichtschachtgitter außerhalb der Fassung lag, legte es der Hausmeister wieder in diese zurück. Es kam auch vor, dass die Gitter etwas nach unten gebogen waren. Wenn der Hausmeister dies bemerkte, nahm er das Gitter heraus, bog es gerade und legte es wieder in die Fassung. Der Hausverwaltung war dies nicht bekannt.
Der Lichtschacht stellt ein Bauwerk iSd § 1319 ABGB dar. Im konkreten Fall besteht zwischen dem Geschädigten und dem Besitzer des Bauwerks ein Mietverhältnis. Neben der Bauwerkehaftung gelangt daher auch die vertragliche Haftung zur Anwendung.
Die Hauptleistungspflicht des Vermieters besteht darin, dem Mieter den bedungenen Gebrauch des Mietobjekts zu gewähren und dieses in brauchbarem Zustand zu erhalten. Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst dabei das Mietobjekt und die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach dem Vertrag oder Verkehrsübung benützen darf. Weiters besteht die vertragliche Nebenpflicht für die gefahrlose Benützung dieser Teile Sorge zu tragen.
Der OGH stellte dazu fest, dass auch die Bereiche der Lichtschächte, die sich außerhalb der allgemeinen Weg- und Verkehrsflächen befinden, zu jenen Anlagen zählen, zu deren Mitbenützung die Klägerin als Mieterin berechtigt ist.
Zwar erfüllten die Lichtschächte sämtliche Sicherheitsvorschriften. Nach dem OGH kann aber das Vorliegen einer entsprechenden baubehördlichen Genehmigung den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder wissen muss, und damit ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt.
Dabei ist es dem Verkehrssicherungspflichtigen als Verschulden schon zuzurechnen, wenn er Anzeichen einer drohenden Gefahr ignoriert.
Dem Hausmeister war bekannt, dass die Lichtschachtgitter wiederholt verbogen waren bzw. nicht in ihrer Fassung lagen. Es lag daher eine Gefahrenquelle vor. Das Unterlassen von zumutbaren Maßnahmen, wie etwa die Lichtschachtgitter zu fixieren, führt daher zur Haftung des beklagten Vermieters.
Zudem stellt nach dem OGH ein schräg außerhalb der Einfassung liegendes, teils von Sträuchern umgebenes Lichtschachtgitter keine augenfällige Gefahrensituation dar, die zum Entfall einer Verkehrssicherungspflicht führt.
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